Ein Schultag voller Inklusion
Melanie Friedl ist Lehrerin an der «Neue Mittelschule» in Frohnleiten und beschreibt einen Tag mit ihrer Inklusionsklasse.

Von Melanie Friedl

13. August 2024, 

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Die Schule öffnet um 7.30 Uhr und die Kinder kommen in die Klasse. Roman, ein Kind mit einer Autismusspektrumsstörung, sowie Mario, ein Kind mit ADS, überprüfen den heutigen Stundenplan und richten die benötigten Schulsachen her. Das funktioniert mittlerweile schon gut allein, zur Not können sie die Schulassistentin um Hilfe fragen.

Maria, ein Mädchen mit erhöhtem Förderbedarf, das im Rollstuhl sitzt, kommt etwas später, weil sie in der Früh schwer aufgestanden ist. Ihre Assistentin ist schon da. Ich bitte sie, mit Maria, sobald sie da ist, in den Nebenraum zu kommen.

«Inklusion wird in der Mittelschule Frohnleiten als Selbstverständlichkeit gelebt. Alle im täglichen Schulalltag mitwirkenden Personen profitieren davon.»
Melanie Friedl, Diplom-Pädagogin

Bild © Adobe Stock

Von 7.45 bis 8.15 Uhr haben wir «Leseleiste». Ich nutze die Zeit, um mit Roman gemeinsam im Nebenraum in seinem Buch weiterzulesen. Er kann zwar technisch gut lesen, den Sinn aber schwer erfassen. Ohne Einzelbetreuung kann er nicht wiedergeben, was im Text gestanden ist. Nach etwa 20 Minuten kommt Maria mit ihrer Assistentin und grüßt uns gut gelaunt. Sie hört aufmerksam zu, wie Roman mir vorliest. Dann schicke ich Roman in die Klasse, denn der Unterricht beginnt gleich.  Ich lese gemeinsam mit Maria eine Seite. Manche Wörter erkennt sie sofort, andere müssen noch geübt werden. Anschließend bleibt Maria noch mit ihrer Assistentin im Nebenraum und schreibt am PC. Das macht ihr Spaß und gelingt viel besser als das Schreiben mit der Hand. Besonders freut sie sich, schon den Namen ihrer besten Freundin Anja schreiben zu können.

In der Klasse ist der Geschichtsunterricht schon in vollem Gange. Die Schülerinnen und Schüler lesen im Buch und reden mit der Lehrerin über das Gelesene. Ich frage unsere zwei ukrainischen Mädchen, ob sie ihr Handy zum Übersetzen brauchen. (Nein, danke, es geht schon ohne Übersetzung.). Alle Kinder arbeiten fleißig mit und ich habe Zeit nach Maria zu sehen. Maria ist sehr stolz darauf, schon so viel geschrieben zu haben. Am Ende der Stunde kommt Maria in die Klasse, dabei hat sie ihren großen Auftritt. Sie strahlt und ruft «Hallo!» und viele Kinder und die Lehrerin erwidern ein fröhliches «Hallo, Maria!».

Melanie Friedl ist Diplom-Pädagogin und unterrichtet an der Mittelschule Frohnleiten eine Inklusionsklasse.

Melanie Friedl

In der nächsten Stunde haben wir Musik, alle Kinder sind in der Klasse. Marias Schulassistentin setzt sich bewusst weg und Marias beste Freundin Anja sitzt neben ihr. So ist Maria viel ruhiger und konzentrierter bei der Arbeit. Alle Kinder bekommen Arbeitsblätter und beginnen zu arbeiten. Anja öffnet für Maria den Stift und Maria füllt das Arbeitsblatt ebenfalls aus. Ich helfe Schüler:innen, die Unterstützung benötigen.

Dann kommt die große verpflichtende Hofpause mit einer Dauer von 20 Minuten. Maria bleibt mit ihrer Assistentin in der Klasse und isst ihre Jause. Essen und Trinken ist wichtig für sie und sie benötigt genügend Zeit und Ruhe dafür. Drei bis vier Kinder bleiben bei Maria in der Klasse, die Auswahl der Kinder, die das möchten, ist groß und wir wechseln tageweise ab. Besonders freuen sich die Mädchen, wenn die Assistentin ihnen schöne Zöpfe flechtet. In der nächsten Stunde ist Deutsch. Alle Kinder sind in der Klasse. Ich beginne in der Klasse mit Maria zu arbeiten, heute wird an Marias Deutschplan weitergearbeitet. Wir starten mit Schwungübungen und ich zeige ihrer Assistentin, was noch gemacht werden kann. Anschließend helfe ich wieder den anderen Kindern der Klasse, auch denjenigen, die keinen sonderpädagogischen Förderbedarf haben. Nach etwa 20 Minuten lässt Marias Elan nach, aber ihre Assistentin schafft es, sie noch ein wenig zu motivieren.

In der nächsten Stunde ist Englisch. Nach einer kurzen Einführung des neuen Themas wird in Gruppen gearbeitet. Auch Maria wird in eine Gruppe eingeteilt und setzt sich dort mit den Kindern zusammen. Meine Gruppe besteht meistens aus Roman, der in Englisch AHS Standard ist, Luis, der etwas extra Motivation benötigt, und meinen zwei Jungs mit Lernschwäche, die beim Lernen zusätzliche Unterstützung brauchen. Roman ist stolz darauf, in Englisch so viel zu wissen. Ich kann das Gruppengeschehen gut lenken, damit alle Kinder zu Wort kommen. Meine zwei Kolleginnen gehen von Gruppe zu Gruppe, nach einer Weile gehe auch ich durch die Klasse und höre mir an, wie es in den einzelnen Gruppen funktioniert. Maria sitzt bei ihrer Gruppe, hört zu, und ist glücklich, dabei zu sein. Wenn andere Kinder statt Erwachsenen bei ihr sind, ist sie wesentlich geduldiger und aufmerksamer. Dann wieder Hofpause.

Danach haben wir zwei Stunden offenes Lernen (Mathematik und Englisch). Meine Schüler starten selbstständig mit Mathematik. Romans Assistentin ist da, um ihnen helfen zu können. Auch meine Kolleginnen arbeiten gerne mit Kindern, die mehr Unterstützung benötigen. Da wird kein Unterschied gemacht. Ich erarbeite mit Maria die Menge Fünf. Dazu malen wir mit Pinsel und Fingerfarben immer fünf Punkte. Marias Assistentin macht weiter und ich helfe Dennis, der speziell beim Rechnen noch etwas Hilfe benötigt. Währenddessen kommen auch Schüler:innen der Klasse zu mir und fragen um Hilfe. Maria wird langsam unruhig, der Tag ist schon lange für sie. Die Mathematiklehrerin fragt Maria, ob sie mit ihr eine Spritztour machen will. Das freut Maria, die die Mathematiklehrerin sehr cool findet. Inzwischen wurde gewechselt und ich habe Zeit, meine zwei Jungs in Englisch zu unterstützen. Wir gehen in den Nebenraum und lesen und besprechen gemeinsam den Text. Roman und Luis bleiben mit der Englischlehrerin und der Assistentin in der Klasse. Anja und Dora, unsere ukrainischen Mädchen, arbeiten in Englisch und Mathematik ganz normal mit, schreiben Schularbeiten und können bereits in Standard AHS beurteilt werden. Der Tag ist zu Ende. Zwei Kinder begleiten Maria nach draußen. Ich warte, wie immer, auf Luis, der ein wenig länger benötigt. Heute war ein guter Tag, aber ohne die Mithilfe meiner Assistentinnen und Kolleg:innen würde es nicht so gut funktionieren!

Kontakt:

Peter Pichler, [email protected]
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